Zur Kündigung eines Arbeitnehmers wegen qualitativer Minderleistung

Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 03.03.2011 – 3 Sa 764/10

Eine ordentliche Kündigung wegen qualitativer Minderleistung setzt grundsätzlich voraus, dass die „Durchschnittsleistung“ vergleichbarer Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum dargestellt wird, damit festgestellt werden kann, ob die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit beim gekündigten Arbeitnehmer über längere Zeit hinweg erheblich überschritten wird. Liegt eine solche Überschreitung vor, kann dies je nach Fehlerzahl, Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht vorwerfbar verletzt (im Anschluss an BAG 17.01.2008 – 2 AZR 536/06).(Rn.22)

(Leitsatz des Gericht)

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 08.04.2010 – 3 Ca 2556/09 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung.

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Die Klägerin ist seit 01.08.1999 bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte in Teilzeit zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von 1.041,00 € beschäftigt. Sie wurde als sogenannte Datenerfasserin eingesetzt, vereinzelt in der sogenannten Vorerfassung, ganz überwiegend jedoch in der Enderfassung bzw. Ergänzungserfassung.

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Dabei war sie für die Erfassung nationaler und internationaler Frachtdaten zuständig. Die Vorerfassung besteht darin, dass die Frachtbriefe ins Büro gebracht und dort in einem ersten Schritt kursorisch erfasst werden. Dabei wird die Postleitzahl des Empfängers aufgenommen sowie der Barcode gescannt, der sich auf jedem Frachtbrief befindet. Die Enderfassung besteht darin, die genauen Daten des einzelnen Frachtbriefs zu erfassen und auf Plausibilität zu überprüfen – z. B. darauf, ob die angegebene Postleitzahl zum Empfängerort passt, ob die Straße oder der Empfängerort richtig ist, ob Besonderheiten für Stückgut oder Expressgut bestehen usw. Bei Auffälligkeiten hat der betreffende Mitarbeiter in der Vorerfassung auf dem Frachtbrief mit Leuchtstift Markierungen anzubringen, die dann im Rahmen der Enderfassung besonders zu berücksichtigen sind.

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Die Klägerin erhielt mit Schreiben vom 26.08.2008 eine Abmahnung wegen privater Telefonate während der Arbeitszeit vom Dienstort aus nach Brasilien. In einer weiteren Abmahnung mit Schreiben vom 03.06.2009 wurde beanstandet, dass die Klägerin am 28.04.2009 und am 25.05.2009 falsche Daten in das System Domino eingegeben habe.

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Mit Schreiben vom 06.07.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.10.2009.

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Die Klägerin bestreitet die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe. Insbesondere sei es nicht ihre Taktik gewesen, Fehler zu vertuschen. Auch hätten die – bestrittenen – Fehler nicht zu einem Schaden der Beklagten geführt. Im Übrigen habe es nicht, wie ihr vorgeworfen werde, immer wieder Probleme durch Fehler der Klägerin gegeben. Die von der Beklagten im einzelnen dargelegten Fehlleistungen werden von der Klägerin durchweg bestritten.

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Die Beklagte trägt vor, die Klägerin mache trotz zehnjähriger Tätigkeit immer wieder dieselben sachlichen Fehler. Sie erkenne die Fehler von Kollegen in der Vorerfassung, korrigiere diese aber nicht. So habe sie eine Sendung nach San Marino nicht als Zollgut erfasst und diesen Fehler später – eigenmächtig, aber fehlerhaft – korrigiert. Bei einem anderen Kunden habe sie die Lieferscheine nicht, wie es geboten gewesen wäre, nach Lieferorten in Deutschland und im Ausland getrennt. Mithin habe sie einen bereits in der Vorerfassung gemachten Fehler nicht korrigiert. Des weiteren habe sie bei der Erfassung einer Sendung nach Irland nicht das korrekte Länderkennzeichen „IRL“ verwendet, sondern fälschlicherweise das Kennzeichen „IR“ für Iran. Schließlich habe sie bei einem Transportauftrag eines weiteren Kunden als Verpackungsmittel „fünf Euro-Paletten“ erfasst, obwohl im Auftrag klar von „fünf Sperrholzkisten“ die Rede gewesen sei. Die Klägerin habe bis zur Umorganisation in der Niederlassung im Jahr 2007 ihre damalige Arbeit gut gemacht. Dies zeige, dass es der Klägerin nicht an Fachwissen fehle. Sie sei in den letzten Jahren nur nicht mehr bereit gewesen, dieses Fachwissen entsprechend einzusetzen.

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Das Arbeitsgericht Augsburg hat mit Endurteil vom 08.04.2010 – 3 Ca 2556/09 -, auf das hinsichtlich des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien, der im ersten Rechtszug gestellten Anträge sowie der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, festgestellt, dass die ordentliche Kündigung vom 06.07.2009 unwirksam ist, und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

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Es hat zur Begründung ausgeführt, der Sachvortrag der Beklagten belege zwar Fehler der Klägerin, auch erscheine der abweichende Sachvortrag der Klägerin in vielen Fällen nicht nachvollziehbar, teilweise gekünstelt und tatsächlich immer darauf angelegt, den Fehler anderen Mitarbeitern anzulasten. Jedoch vermöge der Sachvortrag der Beklagten nicht zu belegen, dass die Klägerin dabei die von ihr zu erwartende Normalleistung unterschritten habe. Die Beklagte liste insgesamt vier Fehler der Klägerin auf, welche zwar eine qualitative Minderleistung erkennen ließen. Es handele sich jedoch aus Sicht der Kammer um geringfügige Fehlleistungen, aus denen nicht der Schluss gezogen werden könne, dass die Klägerin die zur erwartende Normalleistung bewusst – bzw. schuldhaft – unterschritten habe.

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Die Beklagte hat gegen das ihr am 02.07.2010 zugestellte Endurteil vom 08.04.2010 mit einem am 30.07.2010 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 02.09.2010 eingegangenen Schriftsatz begründet.

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Sie wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag und betont, die Klägerin mache Fehler, die andere Arbeitnehmer nicht machten. Sie handele praktisch vorsätzlich. Die Schlussfolgerung des Arbeitsgerichts, die Klägerin könne es eben nicht besser, sei der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts München nicht zu entnehmen. Es gehöre zu einem durchschnittlichen Leistungsvermögen, dass man z. B. Länder nicht verwechsele. Die Klägerin sei offenbar der Auffassung, sie könne ihre Leistungspflicht willkürlich bestimmen. Sie sei absolut abmahnungsresistent. Auch die Interessenabwägung gehe zu Lasten der Klägerin.

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Die Beklagte beantragt:

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1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 08.04.2010 wird aufgehoben.

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2. Die Klage wird abgewiesen.

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3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

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Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

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Sie trägt vor, die Erfassung der Postleitzahl sei nicht Gegenstand der Enderfassung, sondern – wie der Empfängerort – bereits in der Vorerfassung zu bearbeiten. Sie bestreitet nach wie vor die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe und trägt vor, Änderungen oder Manipulationen seien auch durch andere Mitarbeiter möglich, da die EDV im Grunde jedem Mitarbeiter zugänglich sei. Sie meint, die Beklagte wolle glauben machen, dass andere Mitarbeiter fehlerfrei sind. Auch stellten die von der Beklagten geschilderten Vorfälle Bagatellen dar. Auffällig sei die starke zeitliche Konzentration, die sicherlich mit der besonderen familiären und psychischen Situation der Klägerin zu erklären sei, die sich inzwischen im Wesentlichen konsolidiert habe.

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Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 01.09.2010 und der Klägerin vom 27.09.2010 sowie 19.10.2010 verwiesen, ferner auf die Sitzungsniederschrift vom 03.03.2011.


Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist unbegründet. Zwar ergeben sich aus dem Vortrag der Beklagten tatsächlich erhebliche qualitative Fehler der Klägerin, also eine qualitative Minderleistung. Auch hat die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 03.06.2009 einschlägig und unter Beachtung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze abgemahnt. Schließlich hat auch die Berufungskammer – ebenso wie das Arbeitsgericht – den Eindruck, dass die Klägerin dazu neigt, Fehler anderen Mitarbeitern anzulasten.

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Gleichwohl ist das Arbeitsgericht auf der Grundlage der zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechungsgrundsätze zur sozialen Rechtfertigung einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung – insbesondere einer solchen wegen qualitativer Minderleistung – zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass die Kündigung vom 06.07.2009 rechtsunwirksam gemäß § 1 Abs. 1, 2 KSchG ist.

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Dieses Ergebnis ist letzten Endes darauf zurückzuführen, dass es für eine Kündigung wegen qualitativer Minderleistung nicht genügt, eine Reihe objektiver Fehlleistungen der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters aufzuzeigen – auch nicht, wenn es sich um gravierende Fehler handelt -, die zu erheblichen betrieblichen Störungen bzw. Schäden führen können. Vielmehr kommt es darauf an, dass eine Kündigung wegen Minderleistung nur gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin nicht dasjenige tut, was er bzw. sie soll, und zwar so gut, wie er bzw. sie es kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch, und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers; ein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen (BAG 21.05.1992 – 2 AZR 551/91). Wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer nicht die „objektive Normalleistung“ erbringt, kann das bedeuten, dass er oder sie seine bzw. ihre Leistungsfähigkeit nicht in der Weise anspannt, wie es ihm oder ihr objektiv möglich wäre. Dass Arbeitnehmer hinter ihrer individuellen Leistungsfähigkeit zurückbleiben, kann im Falle objektiver Minderleistung gegeben sein, muss es aber nicht zwangsläufig.

22

Der Beklagten ist durchaus darin zu folgen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht nicht selbst willkürlich bestimmen kann und es ihm nicht gestattet ist, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig nach seinem Belieben zu bestimmen. Vielmehr muss er unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. Ob der Arbeitnehmer dieser Verpflichtung nachkommt, ist für den Arbeitgeber jedoch nicht immer anhand objektivierbarer Kriterien erkennbar. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Leistungen erbringt, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass er seine persönliche Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft (vgl. BAG 17.01.2008 – 2 AZR 536/06 – Rn. 16; BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – Rn. 90). In einer Vergleichsgruppe ist stets ein Angehöriger der Gruppe das „Schlusslicht“ (BAG 17.01.2008 – 2 AZR 536/06 – Rn. 16). Allerdings kann die längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquote je nach tatsächlicher Fehlerzahl, Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt (BAG 17.01.2008 – 2 AZR 536/06 – Leitsatz 3 und Rn. 16).

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Der Beklagten ist es allerdings hier nicht gelungen, eine längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquote in dieser Weise darzulegen. Es fehlt die Vergleichsmöglichkeit mit der „Vergleichsgruppe“. Dazu wäre es Sache der Beklagten gewesen, nicht nur zu den Leistungsmängeln der Klägerin vorzutragen – was hier hinreichend substantiiert geschehen ist -, sondern darüber hinaus Tatsachen darzulegen, aus denen ersichtlich wäre, dass die Leistungen der Klägerin deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer erheblich zurückgeblieben sind, also die Durchschnittsleistung erheblich – und vor allem auch längerfristig – unterschritten haben. Erst dann wäre ein Indiz dafür gegeben, dass die Klägerin vorwerfbar ihre vertraglichen Pflichten verletzt hat.

24

Weder im ersten Rechtszug noch im Berufungsverfahren hat die Beklagte jedoch zur Leistung vergleichbarer Arbeitnehmer – nach dem Vortrag der Beklagten hat die Klägerin ihre Aufgaben in einem Team von drei Mitarbeitern erledigt – in einem definierten Zeitraum konkret vorgetragen. Die durchschnittliche Leistung bzw. durchschnittliche Fehlerquote ist somit nicht nachvollziehbar dargelegt. Damit kann auch nicht festgestellt werden, inwiefern die Klägerin die durchschnittliche Fehlerquote längerfristig deutlich überschritten hat. Die von der Beklagten aufgelisteten Fehler der Klägerin im Juni und Juli 2009, also nach der Abmahnung vom 03.06.2009, sind für sich genommen „eindrucksvoll“. Sie lassen jedoch nicht erkennen, inwiefern diese Fehler über das Maß der Fehler vergleichbarer Arbeitnehmer deutlich hinausgingen, und vor allem nicht, dass sich diese negativen Abweichungen bei der Klägerin über einen längeren Zeitraum hinweg erstreckt hätten.

25

Zu einem entsprechenden Vortrag der Beklagten hätte auch deshalb aller Anlass bestanden, weil das Arbeitsgericht ausdrücklich auf dieses Problem hingewiesen hat.

26

Nachdem sich aus dem Vortrag der Beklagten – als wahr unterstellt – schon kein ausreichender sozial rechtfertigender Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung ergibt, kann die Frage der Interessenabwägung dahinstehen.

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Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

28

Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass. Auf die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zu erheben, wird hingewiesen.

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